Fallstricke Ihres Testaments: Pflichtteilsstrafklauseln
Fallstricke Pflichtteilsstrafklauseln: Vorsicht vor den steuerlichen Konsequenzen
Das Finanzgericht Hamburg hatte Anfang 2020 in einem leider zu wenig beachteten Urteil (Urteil vom 21.02.2020 – 3 K 191/18) entschieden, dass sich die typischen Pflichtteilsstrafklauseln steuerschädlich auswirken. Das Urteil kam keinesfalls überraschend, weil es der ganz herrschenden Meinung der Verwaltung, der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur entspricht.
I) Problemstellung
Worum geht es? Das Grundproblem ist, dass die notarielle Gestaltung von Testamenten sich regelmäßig und ganz überwiegend an einer rein erbrechtlichen Betrachtung ausrichtet. Wenn also die typischen Ehegatten V und M mit zwei Kindern K1 und K2 zum Notar kommen, wollen sie typischerweise ein leider unausrottbares „Berliner Testament" abschließen. Umgekehrt vernachlässigen rein steuerrechtlich orientierte Gestaltungen die erbrechtlichen Konsequenzen. Beides muss gleichermaßen und gleichberechtigt je nach Fall in der Gestaltung berücksichtigt werden – wird es aber in der Praxis nicht. Notare bedingen jede steuerrechtliche Haftung ab (das soll keine Pauschalkritik an Notaren sein; es gibt diverse Einzelfälle von Kollegen mit hervorragenden steuerlichen Kenntnissen, die dies auch im Interesse der Mandanten bestens berücksichtigen – Einzelfälle eben), Steuerberater behaupten maximal, auch die erbrechtlichen Konsequenzen zu berücksichtigen.
In einem Berliner Testament setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben beim Tod des Erstversterbenden und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben des Letztversterbenden. Dass dadurch – steuerlich nachteilig – dieselbe Vermögensmasse zwei separaten Besteuerungsvorgängen unterworfen werden, sollte allgemein jedem Erblasser bekannt sein, sei hier aber nur nochmals am Rande erwähnt.
Vorliegend geht es um die Pflichtteilsstrafklausel, die im Fachjargon auch als „Jastrow‘sche Klausel“ bezeichnet wird. Ein Klassiker ist eine Formulierung, hier entnommen dem Beck’schen Formularhandbuch, die auch Notare gerne verwenden und die gekürzt wie folgt lautet:
„Sollte eines unserer Kinder oder dessen Abkömmling nach dem Tode des Erstversterbenden gegen den Willen des Letztversterbenden seinen Pflichtteil geltend machen, so sind der betreffende Pflichtteilsberechtigte und seine Abkömmlinge von der Erbfolge nach dem Tod des Letztversterbenden ausgeschlossen. Jeder unserer Abkömmlinge, ausgenommen derjenige, der seinen Pflichtteil gegen den Willen des Letztversterbenden geltend gemacht hat und seine Abkömmlinge, erhält in diesem Fall ein Geldvermächtnis in Höhe des Wertes seines gesetzlichen Erbteils nach dem Tode des Erstversterbenden. Die Vermächtnisse fallen mit dem Tod des Erstversterbenden an und sind mit dem Tod des Letztversterbenden fällig. (…) Der durch die vorstehende Enterbung freiwerdende Erbteil soll den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile anwachsen. Sollten alle Berechtigten gegen den Willen des Letztversterbenden den Pflichtteil verlangen, ist der Letztversterbende frei, sämtliche seiner für den zweiten Erbfall getroffenen Verfügungen einseitig abzuändern." (Nadjecki in Gebele/Scholz „Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht“, 14. Aufl., 2022; völlig zutreffend dort auch unter Rn. 14 „Die den loyalen Pflichtteilsberechtigten zugewendeten, beim Tod des Letztversterbenden fälligen Vermächtnisse stehen – ebenso wie nunmehr die Auflagen – den steuerlich ungünstigen Nacherbschaften gleich" (§ 6 Abs. 4 ErbStG; Meincke/Hannes/Holtz ErbStG § 6 Rn. 26 ff.; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gottschalk ErbStG § 6 Rn. 139 ff.)).
II) Sinn und Zweck der Klausel – erbschaftsteuerliche Folgen
Zivilrechtlich wird dadurch der Anreiz für die Kinder, gegen den Willen des überlebenden Ehepartners den Pflichtteil geltend zu machen, deutlich reduziert. Zum einen verliert es sein Erbrecht nach dem Tod des Letztversterbenden, zum anderen wird diesem Kind der dann noch zustehende Pflichtteil der Höhe nach erheblich reduziert. Der Grund liegt darin, dass durch die Einsetzung der loyalen Kinder auf ein Vermächtnis in Höhe ihres Erbteils beim Tod des Erstversterbenden, das aber erst beim Tod des Letztversterbenden zu erfüllen ist, die Erbmasse im eigentlichen, dem finalen (zweiten) Erbgang massiv reduziert ist. Denn diese Vermächtnisse werden vom Nachlasswert abgezogen (§ 2311 BGB). Und der Pflichtteil errechnet sich aus diesem so verminderten Nachlasswert.
Erbschaftsteuerlich jedoch können die vom Erstversterbenden stammenden Geldvermächtnisse nicht beim Tod des Letztversterbenden von der Bereicherung abgezogen werden (§ 6 Abs. 4 ErbStG). Dies bedeutet, dass die Erben beim Tod des Letztversterbenden so behandelt werden, als ob der Letztversterbende (der mit dem Vermächtnis des Erstversterbenden beschwerte) das Vermächtnis angeordnet hätte.
III) Konkretisierung
Konkret heißt das:
- Erster Erwerbsvorgang/Todesfall: Der Überlebende kann das Vermächtnis des Erstversterbenden nicht von seiner Bereicherung abziehen. Das ist konsequent, da das Vermächtnis erst mit seinem eigenen Tod fällig wird, er folglich den Nachlass des Erstversterbenden ungeschmälert erhält (§ 6 Abs. 1 ErbStG).
- Zweiter Erwerbsvorgang/Todesfall: Nunmehr erben, wie testamentarisch bestimmt, die loyalen Kinder. Es fließt Ihnen nunmehr auch das vom Erstversterbenden – zivilrechtlich – stammende Vermächtnis zu. Das Erbschaftsteuerrecht teilt diese Sichtweise nicht und behandelt die Kinder wie Nacherben (§ 6 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 ErbStG). D.h. erbschaftsteuerrechtlich stammt die Bereicherung allein und einheitlich vom Letztversterbenden. Folglich werden das vom Letztversterbende stammende Vermögen und die zivilrechtlich vom Erstversterbenden stammenden Vermächtnisse addiert (mit ggf. nachteiligem Sprung in einen höheren Steuersatz). Nur in Bezug auf den Letztversterbenden kommt der persönliche Freibetrag einmal zur Anwendung (mit der Möglichkeit der Steuerklassenverschiebung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, die aber zumeist bedeutungslos sein wird).
IV) Fallbeispiel mit Jastrow’scher Klausel
V und M haben zwei Kinder K1 und K2. V hat ein Barvermögen von 2 Mio. EUR, M von 0,- EUR. Immobilien sind nicht vorhanden. Beide haben ein Testament mit der obigen Regelung geschlossen. Beide Kinder sind älter als 27 jahre alt. V stirbt 2014. M hat (wichtig wegen § 17 ErbStG) infolge des Todes von V Versorgungsansprüche, deren Kapitalwert größer als 256.000,- EUR ist. K1 macht entsprechend dem Testament seinen Pflichtteil nicht geltend, K2 macht ihn geltend. Der Pflichtteil von K2 beträgt 1/8 (50 % des gesetzlichen Erbteils von ¼), d.h. 250.000,- EUR.
Zwischenergebnis:
Vermögensanfall nach Steuerwerten: 2.000.000,- EUR
./. abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten
(inkl. Pauschbetrag von 10.300 Euro, § 10 Abs. 5 ErbStG): ./. 260.300,- EUR
= Bereicherung von M = 1.739.700,- EUR
./. persönlicher Freibetrag (§ 16 ErbStG): ./. 500.000,- EUR
./. besonderer Freibetrag (§ 17 ErbStG): ./. 0,- EUR
= steuerpflichtiger Erwerb = 1.239.700,- EUR
= tarifliche Erbschaftsteuer (hier: 19 %) = 235.543 EUR
Fortsetzung:
Im Jahr 2021 stirbt M. Ihr Vermögen beträgt 1.514.457,- EUR, gerundet 1,5 Mio. EUR (nämlich das von V erworbene Vermögen abzgl. Pflichtteil und Steuern). K2 macht erneut den Pflichtteil geltend. Der Pflichtteil beträgt ¼ (50 % des gesetzlichen Erbteils von ½). 1,5 Mio. EUR abzgl. das Vermächtnis des Erstversterbenden für K1 in Höhe seines Erbteils beim Tod des Erstversterbenden (= 0,5 Mio. EUR) = 1 Mio. EUR, also Pflichtteil in Höhe von 250.000,- EUR. Der Pflichtteil ist steuerfrei (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
Weiteres Zwischenergebnis für K1:
Vermögensanfall nach Steuerwerten: 1.500.000,- EUR
./. abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten
(inkl. Pauschbetrag von 10.300 Euro, § 10 Abs. 5 ErbStG): ./. 260.300,- EUR
= Bereicherung von M = 1.239.700,- EUR
./. persönlicher Freibetrag (§ 16 ErbStG): ./. 400.000,- EUR
./. besonderer Freibetrag (§ 17 ErbStG): ./. 0,- EUR
= steuerpflichtiger Erwerb = 839.700,- EUR
= tarifliche Erbschaftsteuer (hier: 19 %) = 159.543 EUR
Endergebnis:
In Summe beträgt damit die Steuerlast generationsübergreifen 395.086,- EUR.
V) Gestaltungsalternative des Falles (unter Verwendung eines Berliner Testamentes)
Prinzipiell geht es um den gleichen Fall, der gestalterisch wie folgt variiert wird:
Da V und M wissen, dass K2 den Pflichtteil geltend machen wird, zahlt V ihm 2002 zu Lebzeiten 0,4 Mio. EUR gegen einen Pflichtteilsverzicht (steuerfrei). IdR wird sich das Kind angesichts aller weiteren Unwägbarkeiten hierauf einlassen. Im Sinne der Gleichbehandlung schenkt V auch K1 zu Lebzeiten 0,4 Mio. EUR (steuerfrei).
Beide setzen sich jeweils zu ½ neben K1 (ebenfalls zu je ½) bei Tod des Erstversterbenden ein. Im Wege einer Güterstandsschaukel überträgt V zuvor an M 0,4 Mio. EUR (beliebig gestaltbar) zum Ausgleich des Zugewinns (steuerfrei).
Beim Tod des V 2014 hat er noch ein Vermögen von 0,8 Mio. EUR, M eines von 0,4 Mio. EUR. M erhält in diesem Erbgang 0,4 Mio. EUR von V (steuerfrei, § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), K1 ebenfalls 0,4 Mio. EUR (ebenfalls steuerfrei, § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
M schenkt sofort 0,4 Mio. EUR an K1 weiter (steuerfrei, § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
Beim Tod der M 2021 erhält K1 die bei M verbliebenen 0,4 Mio. EUR. Die Vorschenkung ist zu addieren (§ 14 ErbStG), so dass die Steuerlast 58.455,- EUR beträgt, (15 % von 389.700,- EUR). § 27 Abs. 1 ErbStG kommt nicht zur Anwendung, weil beim Ersterwerb durch M keine Steuer entrichtet wurde.
Ergebnis: Die Steuerersparnis beträgt 336.631,- EUR mit ansonsten innerfamiliär nahezu gleichen Ergebnissen bei minimalem Gestaltungsaufwand und durchgängig gesicherter Versorgung von V und M. Natürlich lässt sich das Ergebnis noch weiter optimieren, z.B. bei einem weiteren Generationensprung an eventuell vorhandene Enkel (Kinder von K1).
VI) Fazit
Sollten Sie in Ihrem notariellen Testament die Jastrow’sche Klausel vorfinden, sprechen Sie uns an: Es gibt Alternativen, illoyale Kinder in gleicher Weise schlechter zu stellen, ohne zugleich einen steuerlichen Unfall größeren Ausmaßes anzurichten, der häufig erst Jahre später sichtbar wird.